Das Synodicon Orientale ist zweifellos die wichtigste schriftliche Quellensammlung zur Situation der christlichen Kirche auf dem Gebiet der heutigen Länder zwischen Palästina und China (u.a. Irak, Iran, die arabischen Gebiete bis in den zentralasiatischen Raum). Die Texte geben kirchenrechtliche und theologische Antworten für ein christliches Leben in den komplexen Strukturen einer diversen Gesellschaft unter der Herrschaft einer zoroastrischen Dynastie. In dieser nicht einfachen Lage konnte die Kirche des Sasanidenreiches innerhalb desselben und weit darüber hinaus die kirchliche Organisation als „kontinentales Netzwerk“ (Koschorke 2009) ausbauen. Das Synodicon Orientale stellt nichts weniger als die Grundschrift für die Geschichte und das Werden der Kirche dar.
Mit den Synodalakten der Synode des Mar ˀIsḥaq (410) konstituiert sich die Kirche des Perserreiches; in der Synode des Mar Dadišoˁ (424) erklärt sie sich darüber hinaus als von den Kirchen des Westens unabhängige Kirche. Seit dieser Entscheidung existiert neben der Kirche Ostroms bzw. von Byzanz eine eigenständige Kirche im Osten, die ihre kirchlichen Hoheitsrechte zeitweise bis in die chinesische Hauptstadt Xi’an, bis Malabar bzw. Kerala auf dem indischen Subkontinent, bis hin auf die Insel Sokotra im nordwestlich-indischen Ozean und bis in den Jemen ausübte – was neben archäologischen Zeugnissen vor allem durch die im Synodicon Orientale enthaltenen Akten dokumentiert wird. Diese Entwicklung entfaltet sich innerhalb des Sasanidenreichs in komplexen multikulturellen und multireligiösen Strukturen unter der Herrschaft einer zoroastrischen Herrscherdynastie – im Unterschied und zum Teil auch dezidiertem Gegensatz zur Kirche Ostroms. Die Situation der Kirche des Sasanidenreiches ist in ihrer Diversität nach außen wie nach innen äußerst komplex, was die Quellensammlung des Synodicon Orientale so wertvoll macht.
Der Text des Synodicon Orientale ist Teil einer größeren Sammlung von ehemals selbständigen meist kirchenrechtlichen Texten, die maßgeblich in dem Konvolut MS Alqoš 169 (olim Bagdad 509) aus dem 13./14. Jahrhundert überliefert ist. Das Synodicon Orientale besteht dabei nicht nur aus Berichten von Synoden, den Kanones, Unterschriftenlisten sondern auch aus Briefen, theologischen Abhandlungen und Glaubensbekenntnissen. Die Texte müssen durch einen Redaktor oder durch mehrere redaktionelle Bearbeitungen zusammengestellt worden sein.Die Sammlung ist das Ergebnis einer Redaktion, die traditionell auf den Katholikos Mar Timotheus I. (ca. 740–823) zurückgeführt wird. Das Kolophon am Ende der Sammlung MS Alqoš 169, das den Katholikos ˀEliaˀ I. angibt, lässt vermuten, dass eine Endredaktion und Kompilation von Texten in seine Amtszeit (1028–1049) fielen.
Der französische Orientalist und Theologe Jean-Baptiste Chabot (1860–1948) untersuchte erstmalig im 19. Jh. das Konvolut MS Alqoš 169 (mittels der modernen Abschriften Mss. Borg. Syr 81 und 82); er unterteilte es in drei Teile, wobei er im zweiten Teil das eigentliche Synodicon Orientale erkannte. Seit der im Jahr 1902 publizierten Ausgabe Chabots ist kein wissenschaftlicher Gesamtkommentar zu diesen historisch so wichtigen Texten erschienen. Die noch ältere (1900) Braunsche Übersetzung basiert ausschließlich auf Mss. Borg. Syr 82 und ist erst recht inzwischen völlig überholt. Aktuell verändert sich die Textgrundlage durch die in Kürze erscheinende Ausgabe des MS Alqoš 169 (ed. Ephrem Ishaq/Alberto Melloni).
(Textpassage aus Chabot, s.o.).